In der letzten Reihe eines Reisebusses Platz zunehmen kann eine leichtsinnige Entscheidung sein, vor allem wenn man keinen Schimmer hat, dass sich darunter die hintere Achse der Räder befindet. Neben dem enormen Nachteil mangelnder Beinfreiheit und fehlender Verstellbarkeit der Lehnen kommt damit auch noch jedesmal ein unbeschreibliches Gefühl von Schwerelosigkeit dazu, wenn der Bus während der Fahrt wieder mal über ein paar Geschwindigkeitsschwellen stolpert. Zumindest waren wir diesmal als westliche Touristen nicht alleine, die diesen Weg antraten. Der halbe Bus hatte dieselben Absichten wie wir. Die meisten davon strahlten schon von weitem ihr alternatives Aussteiger-Hippileben aus und fuhren schon zum wiederholten Male nach Dharamsala. Sie erzählten, welche sehenswerten Orte es dort zu entdecken gibt, wie es sich anfühlt ein halbes Jahr dort zu leben und zu welchen Zeiten seine Heiligkeit der Dalai Lama öffentliche Audienzen hält. In uns wuchs das Gefühl nach dem nächsten spirituellen Zentrum Indiens und der Hoffnung auf etwas Ruhe und Entspannung.
Dharamsala bekamen wir bei unserer Ankunft am Morgen nicht zu Gesicht. Stattdessen fuhr der Bus nonstop die Serpentinen hoch nach MC Leod Ganj auf 2000 Meter Seehöhe, dem eigentlichen Sitz des Dalai Lamas. Wie eine Festung erstrecken sich dort die gewachsenen Häuserstrukturen auf den Hügeln empor. Überall finden wir tibetische Hinweise darauf, dass das Volk seinem Herrscher gefolgt ist. Viele davon versuchen sich im Tourismus, betreiben tibetisches Handwerk oder fahren Rikscha.
Unser Ziel war jedoch eine der beiden Siedlungen einige Kilometer entfernt hügelaufwärts. Bhagsu liegt an einer einspurigen steilen Strasse, wo sich Cafés, unterschiedliche Geschäfte und Unterkünfte um die Aufmerksamkeit der Touristen bemühen. Dazwischen findet man immer wieder kleine betonierte Seitenwege, die zu dahinterliegenden versteckten Häusern führen. In so einer Gasse am Ende inmitten einer grünen Idylle angeschmiegt an den nächsten Hügel fanden wir ein liebevoll gepflegtes tibetisches Gästehaus für die nächste Zeit. Gleich dahinter auf der Dachterrasse eines Hauses hat Om Shankar sein Yogainstitut, wo er neben Yogalehrerausbildungen auch täglich zweimal Yogastunden selbst unterrichtet. Der liebevoller Umgang mit seinen Schülern und der professionelle Unterricht gefiel uns und so besuchten wir vom ersten Morgen an seine Yogasessions.
Am Morgen um 9.00 meist noch müde und mit hungrigen Magen begannen wir bei ihm mit eher entspannterem Hatha-Yoga den Tag und am Abend um 16.00 steigerten wir uns mit Ashtanga-Yoga bis an unsere Grenzen. Eine Art Alltag könnte man sagen erfüllte so unseren Aufenthalt hier. Dazwischen gingen wir gut essen in einer der vielen Möglichkeiten, zeichneten stundenlang in unsere Skizzenbücher oder erforschten die Wildnis. Weniger als eine kompakte Stadt verstanden, sondern mehr als gewachsene Struktur eingebettet in ein natürliches Gefüge aus Vegetation, Feldern und Bächen, kann man sich hier schnell verlaufen, entdeckt sonderbare Orte und interessante Geschichten.
Bei dem enormen Angebot aus Freizeitbeschäftigungen verlockte es uns bald, neue Dinge auszuprobieren. So entdeckten wir das Himalayan Iyengar Yoga Center und beschlossen dort den Basiskurs zu absolvieren. Das hier unterrichtende Iyengar-Yoga wird weltweit als beispielhaft geachtet und Menschen kommen von weit her um diese Techniken zu erlernen. Anders als bei üblichen Yogapraktiken, zählt hier vor allem der gegenwärtige Geisteszustand innerhalb einer Asana. Die Durchführung einer solchen Position wird aufgrund der geforderten Exaktheit meist mit etlichen Hilfsmitteln bewerkstelligt und dauert oft einmal 30 Minuten. Während dieser Zeit versucht man sich zu öffnen, den Raum zu spüren und die eigene Mitte zu finden.
Wahrscheinlich weniger therapeutisch, dafür weit spektakulärer erlebten wir Acro-Yoga. Mit mehr Akrobatik als Yoga versucht man zu zweit unterschiedlichste Positionen einzunehmen. Der Flyer (Fliegende) wird dabei durch die Base (Basis) in der Luft bewegt. Nicht selten verbrachten wir so mit allem bis zu 5 Stunden Yoga am Tag.
Mit den Wochen kamen auch die Touristen. Unser am Anfang noch fast leeres Gästehaus füllte sich bald und die Hochsaison begann. Israelische Touristen veranstalteten täglich private Psy-Trance Parties in ihren Zimmern und die zuvor so liebliche Strasse mutierte zur Fortgehmeile für Reisende aus Goa. Da wussten wir, es ist Zeit weiterzureisen.
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