Angekommen. Was heißt es eigentlich wo anzukommen? Ist es nicht viel mehr ein Gefühl oder eine Anreihung von erlernten routinierten Tätigkeiten?
Wenn wir nach einem langen Arbeitstag unser Fahrrad zu Hause abstellen, die schmale Stahltreppe zu unserem Appartement hinaufsteigen, das Vorhängeschloss unserer Tür aufsperren und den Decken- Ventilator aufdrehen, genau dann bekommen wir das Gefühl zu Hause zu sein. Es tut mehr als nur gut nach längerem Reisen für eine gewisse Zeit eine kleine Burg wieder für sich zu haben. Drei Monate können wir hier nahezu tun, was wir wollen. Wir kochen wieder unsere Lieblingsgerichte und genießen jeden Morgen unser selbstgemachtes Frühstück.
“Wie wir manche Dinge vermisst haben wird uns erst jetzt bewusst!“
Verkehrschaos
Täglich nach dem Aufstehen öffnen wir die Terrassentür um der verrückten und schnelllebigen Stadt Phnom Penh einen guten Morgen zu wünschen. Das laute Leben auf den Straßen hat schon längst begonnen, wenn wir uns gegen 8:40 auf unsere Fahrräder schwingen um uns durch das dichte Verkehrschaos auf ins Büro zu machen.
Ampeln, Verkehrsschilder und Fahrbahnspuren werden hier kaum beachtet. Nicht denkbar ist es in jeder westlichen Stadt einfach einmal ein paar Blocks auf der falschen Fahrbahnseite als Geisterfahrer gemütlich dahin zu fahren, nur weil es gerade bequemer für einen ist. Die reiche Gesellschaft kämpft sich derweilen mit ihren super neuen SUVs im Schritttempo durch die Straßen, wohin gegen sich Motorradfahrer schnell und gelassen ihren Weg durch das Chaos der Stadt manövrieren. Die Tuk-Tuk Fahrer haben es meist auch noch leichter als die Autofahrer und nützen gern den halben Bürgersteig um an Hindernissen vorbei zu kommen. Autos bleiben oft ohne Blinken direkt auf der Hauptstraße stehen, laden gemütlich ihre Familien ein und aus und niemand zuckt auch nur eine Wimper. Unglaublich beeindruckend wie die Kambodschaner es einfach so hinnehmen. Und unglaublich, wie wir oft fast in die Luft gegangen sind und geflucht haben. Höchstwahrscheinlich haben die Menschen hier während ihres ganzen Lebens nicht so viel geschimpft wie wir in der kurzen Zeit. Was wir bald gelernt haben waren, wie man auf sich aufmerksam macht. Eine wichtige Verkehrsregel besagt einmal hupen heißt „VORSICHT, du kommst mir zu nahe“, und zwei Mal heißt „Platz machen“! Doch es hat den Anschein, als würde es funktionieren.
Stadtentwicklung
Auf unserer Fahrt in Richtung Zentrum häufen sich die Hochhäuser. Leuchtende große Flat-Screens und teure Restaurants wie französische Bäckereien zieren das Straßenbild. Die meisten davon noch eingedeckt hinter den grünen Planen von Baustellengerüsten, weil sie noch nicht fertiggestellt wurden.
Cori kann sich daran erinnern wie Phnom Penh vor 8 Jahren noch fast keine asphaltierten Straßen hatte und es kaum Häuser gab, die über einige Stockwerke hoch waren. Unglaublich wie sich diese Stadt in so kurzer Zeit verändert hat. Chinesische und koreanische Investoren bauen ununterbrochen neue Projekte und versuchen aus Phnom Penh eine moderne Metropole zu schaffen. Diese Vorhaben gehen dabei meist Hand in Hand mit der Regierung. Der größte See in Phnom Penh beispielsweise wurde für neue Bauprojekte einfach zugeschüttet. Gebaut wird außerdem Tag und Nacht und manche Baustellen wirken auf uns als würden deren Arbeiter nie schlafen gehen. Meist leben diese in oder neben der Baustelle in kleinen Blechhütten oder in Containern. Manchmal trifft man dort auch auf ganze Familien. Wir haben auch gehört, dass wenn Projekte fertiggestellt wurden, die Arbeiter wie Nomaden zu der nächsten Baustelle weiterziehen.
Politische Zusammenhänge
Dennoch gehört Kambodscha noch immer zu den korruptesten Ländern der Erde. Geschäftsleute erkaufen sich Vorteile, indem sie die regierende Volkspartei finanzieren und eine ernst zu nehmende Opposition gibt es nicht. Statt Steuern zahlt man Bestechungsgeld und statt Portieren gibt es Wächter. Die Zäune werden mit Stacheldrahtzaun erweitert und wer es sich leisten kann baut um sein Haus herum einen Metallkäfig. Das einst durch die Khmer-Kultur so reiche und hochzivilisierte Land leidet noch heute unter den Folgen der Schreckensherrschaft des Pol Pot Regimes vor 40 Jahren. Zwischen 1975 bis 1979 wurden unter der Führung der Roten Khmer um die zwei Millionen Menschen brutal ermordet. Vor allem die Elite des Landes wurde so gut wie ausgelöscht, um ein Volk aus Reisbauern zu schaffen und der verrückten Idee zu folgen, eine komplette Zivilisation von 0 an neu beginnen zu lassen ohne entwickelte Technologien und Städte. Während dieser Zeit wurde Phnom Penh komplett evakuiert, die Menschen trieb man aufs Land und in Arbeitslager. Viele Häuser verfielen.
In den ersten Wochen wurde uns bald bewusst, dass wir die Menschen und ihre schlimme Vergangenheit besser verstehen wollen. Es war spürbar, dass dieses Volk noch im Prozess der Aufarbeitung steckt und ihre Vergangenheit noch an ihnen zerrte. Kaum vorzustellen, dass diese Zeit erst kurz vorüber ist. Meist leben im Kambodscha mehrere Generationen unter einem Dach. Dass bedeutet aber, dass mindestens zwei davon diesen den Krieg miterlebt haben. Auffällig ist auch der niedrige Altersdurchschnitt, da durch die damaligen massenhaften Exekutionen, heute hauptsächlich die junge Generation vertreten ist.
Phnom Penhs Mahnmale
Wir besuchten das Tuol Sleng Museum in Phnom Penh, welches früher eine Schule war, die in eine Art Konzentrationslager umfunktioniert wurde. Mit einem Audio-Guide wurden wir durch die alten Zellen geführt und erfuhren viel von grausamen Foltermethoden, persönlichen Schicksalsschlägen und geschichtlichen Ereignissen. Es erinnerte stark an die Konzentrationslager, die wir aus unserer eigenen Geschichte in Österreich kennen. Mit dem Fahrrad ging es danach weiter zu den Killing Fields, eines der unzähligen Massengräber unter der Führung der Roten Khmer. Heute noch sieht man während der Regenzeit wie durch den Regen verbliebene Knochen und Kleidungsstücke an die Oberfläche gespült werden. Unsere Betroffenheit darüber können wir nicht in Worte fassen und im gleichen Moment sind wir vollkommen berührt, dass dieses Volk trotz seiner grauenhaften Vergangenheit so herzlich und hilfsbereit uns jeden Tag begegnet.
Buntes Marktleben
Überall in Phnom Penh verteilt gibt es Märkte, in denen man alles Erdenkliche für nur wenig Geld kaufen kann, sofern man sich traut ordentlich zu feilschen. Am nur namentlich verwandten Russian Market fuhren wir immer um günstiges Obst und Gemüse zu kaufen. Nach ein paar Wochen hatten wir die Preise sämtlicher Produkte verinnerlicht und konnten mühelos mit den Einheimischen beim Verhandeln mithalten. Neben den unterschiedlichsten Arten von Meeresbewohnern, wurden Fische frisch entschuppt, Hühner zerhackt und hin und wieder entdeckten wir auch Frösche wie Schildkröten in Tassen, welche als Delikatesse hier gelten. Es kann in dem ganzen Getümmel aus feilschenden Menschen, hupenden Motorräder und Lebensüberresten schon einmal passieren, dass ein Fisch den Sprung in die Freiheit wagt und plötzlich am Boden vor den eigenen Füßen dahinzappelt. Jedes Mal wenn wir dann völlig Reizüberflutet vollgepackt auf unser Fahrrad stiegen und uns auf den Heimweg machen, waren wir uns einig, wieder ein Erlebnis reicher geworden zu sein.
Tempelleben
Genauso oft wie Märkte, bekommt man auch buddhistische Tempel in Phnom Penh zu sehen. Bunt verstreut liegen sie an allen erdenklichen Positionen und in den unterschiedlichsten Größen. Meist dominiert durch die Farbe Gold erkennt man sie schon aus der Weite durch ihre riesigen Satteldächer und den herumlaufenden Mönche in ihrer unmittelbaren Umgebung. Einige buddhistische Mönche bekamen wir regelmäßig zu Gesicht in der Nähe des Büros, wo sie jeden Tag pünktlich um dieselbe Zeit bei allen Häusern um eine Spende baten. Sie leben davon. Der Staat steuert nicht viel dazu bei, aber wir durften ein paar Traditionen miterleben, die dem Wohlergehen der Mönche gewidmet sind. So wird einmal im Jahr die Pchum Ben gefeiert, bei der innerhalb von zwei Wochen jede buddhistische Familie sieben Tempel besucht um die Mönche dort mit Speis und Trank zu versorgen. Mit dieser Geste zelebrieren die Familien eine Ehrerbietung ihrer Vorfahren der letzten 7 Generationen. Die große Tempelhalle wird dann mit langen Tischen ausgestattet, wo die Mönche ihre Spenden empfangen und während sie die leckeren Mahlzeiten genießen, sitzen die Familien in einem Kreis herum und beten.
Eine andere Tradition, die wir miterleben durften war ein Familienfest einer Arbeitskollegin. Sideth erklärte uns, dass jeder Tempel einmal im Jahr an eine Familie das Recht vergeben darf, Spenden zu sammeln. Dies geschieht in einem Festakt bei der jeder Gast kulinarisch versorgt wird und im Gegenzug einen Betrag seiner Wahl dem Tempel spendet. Für die Familie bedeutet diese Möglichkeit eine Bereicherung des Karmas und zählt zu den höchsten religiösen Würden der Kultur.
Neugewonnene Freunde
Viele solcher Ereignisse hätten wir wohl ohne unseren Arbeitskollegen nicht kennengelernt. Auch im Nachtleben wussten sie immer wo gerade etwas los ist und besuchten mit uns in unseren Mittagspausen die besten wie günstigsten Straßen – Restaurants. Von der Aussicht des höchsten Restaurants der Stadt über interessante Ausstellungen und Filmpräsentationen, bis hin zu kleinen beeindruckenden kulturellen Zusammenhängen ermöglichten sie uns in die Kultur und ihren Traditionen tiefer einzutauchen.
„Wahrscheinlich gaben uns unsere neugewonnen Freunde erst das Gefühl sich richtig zuhause zu fühlen.“
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