Wirklich oft während unserer gesamten Reise waren unsere Erlebnisse geprägt durch die Wahrnehmung zufälliger Ereignisse. Jeder Moment ist verbunden mit faszinierenden Orten und formt unsere eigenen Geschichten, völlig unabhängig wie andere Reisende diesen Ort erleben oder wie lange wir an diesen verweilen. Für uns wurde es dadurch mit der Zeit immer selbstverständlicher, dass jeder Ort und jede Begegnung seinen eigenen besonderen Moment hat. Es lag dann oft an uns wie wir uns darauf einließen und welche Erinnerung daraus entstehen kann.
Vor uns lag nun endlich die magische Südinsel Neuseelands. Beladen mit Erzählungen vieler Reisenden über die Faszination der vor uns liegenden Wildnis standen wir an Deck der Fähre nach Picton und versuchten die Stimmung aufzusaugen. Um uns herum waren Touristen unterschiedlichster Kulturen, denen es ähnlich erging. Im Bauch des Schiffes befand sich immer noch Hummel, unser mittlerweile ans Herz gewachsener Campingbus der unser neues zu Hause wurde. Mit ihm hatten wir vor die vor uns liegende Insel gegen den Uhrzeigersinn bis zum südlichsten Punkt zu umfahren. Von der Fährstation weg führte uns dieser Plan als erstes nach Nelson, wo wir unsere erste mehrtägige Trekkingtour buchten und nachdem diese zu Ende war, fuhren wir durch die Bullerschlucht zur Westküste und den berüchtigten Gletschern Neuseelands. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass der Zufall des Momentes uns oft begegnen wird und letztendlich die Erinnerungen formt, die wir nun erzählen wollen.
1 Zwiespalt in Nelson
Der erste größere Ort nach Ankunft war Nelson. Um dorthin zu gelangen durchquerten wir die Serpentinen der Hochstraße durch die Marlboro Sounds. Die Aussicht war vielversprechend. Alle paar Kilometer trafen wir auf einen Rastplatz um die Weite der Gegend zu genießen. Obwohl der Ort einen sehr guten ersten Eindruck machte, wollten wir bald weiter zu unserer geplanten Mehrtageswanderung. Leider hatte in den letzten Tagen das Wetter umgeschwungen und es begann immer heftiger zu regnen. Auch im Infocenter bekamen wir die Antwort, die wir uns schon denken konnten. Wenn wir nicht drei Tage im Regen wandern wollen, wäre uns eher davon abzuraten. Leider besteht in Neuseeland bei den sogenannten „Great Walks“ ein strenges Buchungssystem, bei dem nur eine kleine Anzahl an Wanderer zugelassen wird und deshalb lange im Voraus gebucht werden muss. Wir beschlossen, das Wetter hier auszusitzen und machten uns auf zum Campingplatz. Ein paar Minuten später auf einem temporär errichteten Schotterfeld mit umliegendem Stahlgitterzaun fühlten wir uns plötzlich nicht mehr so frei und ungezwungen. Neben hundert anderen Campern verbrachten wir hier die Nacht und hofften auf die nächsten Tage. Leider wurden die nicht besser. Wir wollten die Zeit sinnvoll nutzen und Alltägliches erledigen, doch bei der Wäscherei wurde uns nachgeschrien wir seien unerwünscht und sollen verschwinden. Nichtsahnend fuhren wir zum Baumarkt um unsere eingebaute Küche zu verbessern. Dort trafen wir auf einem älteren Herrn, der uns mitteilte, wir seien der Dreck der Gesellschaft. Was wir hingegen wirklich verbrochen hatten, war unsere Heimwerkerarbeiten auf der Straße durchzuführen. Aber wo sollten wir den sonst hin? Wir wollten eine Holzplatte maschinell zuschneiden lassen, hatten aber fast kein Werkzeug. So suchten wir einen ganzen Tag lang nach einer Möglichkeit, die uns nicht ablehnte mit der Begründung „machen wir nicht mehr“. Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man zu verstehen bekommt, dass man nicht erwünscht ist. Jeder Person gegenüber wird man skeptisch und verschlossen. Wir fühlten uns mit der Zeit richtig unwohl in dieser Stadt, obwohl wir nichts verbrochen hatten. Beinahe begannen wir zu verstehen, wie es sein muss als Flüchtling solche Situationen täglich zu durchleben. Wir konnten nicht mehr unterscheiden zwischen richtig und falsch, bemerkten aber bald, dass es wirklich etwas zu viele Free-Camper in Nelson gab. Viele davon luden in den Supermärkten ihre Mobiltelefone auf, gingen zu MC Donalds um ihre sozialen Kontakte übers Internet zu pflegen oder spazierten Sonntags halbnackt durch den Markt, um zu den öffentlichen Duschen zu gelangen. Durch die vielen Free- Camper entstand mit der Zeit in ganz Neuseeland auch ein großes Müll Problem, da es leider viele noch immer nicht als wichtig empfinden die Natur rein zu lassen. Nach dem Prinzip: „LEAVE NOTHING THAN FOOTPRINTS!“ Obwohl Nelson eine schöne Stadt ist, werden wir wohl diesen Ort anders in Erinnerung behalten als die Meisten und hoffen dass die Missverständnisse dort bald geklärt werden.
2 Heaphy Track
Schlussendlich hatten wir Glück und saßen im Transportbus zum Brown Hut, dem Ausgangspunkt unserer fünftägigen Wanderung. Noch nie zuvor waren wir derart lange Zeit zu Fuß unterwegs gewesen mit so viel Gepäck. Weil die Betten in den Hütten sehr teuer waren, kam für uns nur die Zeltvariante in Erwägung und weil Vorort keine Verpflegung vorhanden ist, mussten wir uns zur Gänze selbst versorgen. So spazierten wir in voller Montur los mit Schlafsack, Isomatte, Zelt, Kocher samt Gaskartusche, reichlich Proviant und der Hoffnung das alles tragen zu können. Wären entlang des Pfades keine Hütten, könnte man denken, es handle sich um eine Dschungelexpedition. Und genauso sah dort auch die Gegend aus. Überall wo wir hinsahen wucherten tropische Farne und exotische Pflanzenarten. Ständig hörten wir das Wasser neben uns rauschen oder mussten über einen Wildbach marschieren. Nach einem langen Tag erreichten wir jedes Mal müde und zufrieden die Hütte, kochten unsere mitgebrachten Leckereien und plauderten mit anderen Wanderern. So erfuhren wir eines Abends bei einem Kartenspiel mit ein paar Kiwis namens „The last Card“, dass der Heaphy Track früher von den Maoris verwendet wurde um von Nordosten zur Westküste zu gelangen, wo sie nach dem begehrten Pounamu oder auch Jadestein genannt suchten. Er führt letztendlich zur Mündung des Heaphy Flusses und ist der einfachste Weg durch den Urwald um zur Küste zu gelangen. Direkt an der Mündung befand sich unsere letzte Hütte und wo wir am dritten Tag noch gemeinsam mit unseren mittlerweile kennengelernten Reisebegleitern einen unglaublichen Sonnenuntergang genießen durften. Am nächsten Tag ging es die Küste entlang nach Karamea und einen Tag später 450 km zurück nach Nelson zu unserem Camperbus. Es war unser erstes Erlebnis über mehrere Tage sich in den Bergen selbst zu versorgen und auch wenn es über die 80 Kilometer lange Strecke viele Höhen und Tiefen gab, denken wir heute noch gerne daran zurück.
3 Hokitika
Seit wir in der Nähe von Napier bei den Glenfalls übernachteten und Manuel ein paar Kiwis beim Fliegenfischen beobachteten, lies ihm der Gedanke nicht mehr los es selbst zu probieren. Als wir auf unserem Weg zur Westküste die Stadt Greymouth passierten, war es soweit und er besorgte sich eine Angel, der er am nächsten Tag testen wollte. In Hokitika besuchte er einen Anglershop und ließ sich ausführlich erklären, was es dabei alles zu beachten gibt. Überfordert von einer Flutwelle an Informationen fuhren wir zur Flussmündung. Wir hatten den ganzen Tag zur Verfügung, doch er wollte keine Zeit verlieren. Hilflos stand er da und betrachtete seine Angel, als der Schotte Finn vorbeikam und anbot ihm die Grundgriffe zu zeigen. So dauerte es nicht lange und er wusste wie man die Angel zusammenbaute, wie man sie hält und vor allem auch wirft und wieder einholt. Theorie ist oft einfacher als Praxis und so stand er Stunden draußen in den Wellen ohne eine einzige Reaktion. Hin und wieder verfing sie sich und er entknotete oder schnitt sie ab und fädelte neu ein. Mit der Zeit lösten sich seine Anspannungen und er genoss es in den Fluten zu stehen und das Meer zu spüren. Währenddessen blieb Cori mit Amy, der Freundin von Finn, plaudernd beim Bus zurück. Als es langsam dunkel und kalt wurde, liefen beide zum Strand um ihre Fischer zu beobachten. Währenddessen sie im Gespräch mit den Kiwis war, zog etwas an der Leine von Manuel und es fühlte sich an, als würde die Zeit für ihn stehenbleiben. Er holte ein, aber der Fisch zog die Leine jedes Mal wieder hinaus. Er wollte einfach nicht heraus. Ein Kiwi von der Seite meinte im Scherz, dass der Fisch ja riesig sein müsse. Bald erkannte Manuel jedoch, dass die Angel falsch eingestellt war und bat um Hilfe. Dann ging auf einmal alles wieder ziemlich schnell und der Fisch lag auf dem Strand und zappelte. Es war ein Khawai und ca 30 Zentimeter lang. Der Kiwi neben ihm bot ihm an, den Fisch zu töten, zu entschuppen und auszunehmen und weil Manuel nicht wusste, was er zu tun hatte, sagte er ja. Eine Minute später spazierte er mit dem Fang schon Cori entgegen und lächelte bis über beide Ohren. An diesem Abend gab es dann von Finn noch eine Einführung im Filetieren und Zubereiten, bis wir beide den wahrscheinlich besten Fisch der Welt kosten durften, auch wenn unser Bus noch Tage danach nach Fisch roch!
4 Franz Josef Gletscher
Der Abstand zwischen dem Gletscher und dem Meer beträgt hier gerade einmal zehn Kilometer, wodurch ein eigener klimatischer Kreislauf entsteht. Das Meer kumuliert die durch die Hitze aufsteigenden Wasserdampfpartikel zu Wolken, die zehn Kilometer ins Landesinnere wandern, um an den Bergen zu brechen und Regen zu verursachen. Das Wetter schlägt oft um, die lokale Flora und Fauna gedeiht wie im Paradies und die Aussichten von den Bergen hinunter ins Tal sind einfach sagenhaft.
Was wir unbedingt erleben wollten, ist dem Gletscher Franz Josef, der nach dem Oberhaupt der österreichischen k.u.k. Monarchie benannt wurde. Gerade angekommen wanderten wir deshalb gleich einmal los. Vorbei an Gletscherbächen und Endmoränen ging es immer tiefer in die vom Gletscher ausgegrabene Schlucht hinein. Um uns herum fielen Wasserfälle von den Berghängen herab und bald sahen wir schon die Staumoräne, an die sich die Gletscherzunge schmiegen soll. Leider hatte das Wetter zuvor schon begonnen dicht zu machen. Enttäuscht nichts gesehen zu haben spazierten wir bei Regen und Nebel zurück. Am Ende des Weges lasen wir noch ein Schild vom Sentinel Rock und erinnerten uns, dass man von dort einen schönen Ausblick auf das Schotterfeld und das Tor zum Gletschervalley haben soll. Der Regen hörte gerade wieder auf, so bogen wir ab und kletterten die Felsen hinauf. Oben angekommen passierte wieder einmal ein Moment des Zufalls. Wir blickten in die Schlucht hinein und plötzlich meinte Manuel, das Wetter reißt auf. Wir fühlten uns hinters Licht geführt und fragten uns was uns wichtig ist. Wir kehrten um und gingen die Strecke nun zum dritten Mal. Manchmal muss man Dinge wiederholen, wenn man es wissen will, dachten wir uns. Diesmal sahen wir Franz Josef in voller Größe es ist ein wunderschöner Gletscher, bei dem zwei Gletscherzungen zuerst durch eine aufgestaute Moräne geteilt und im weiteren Verlauf sich wieder durch gegenseitige Überlappung vereinen. Leider schmilzt auch hier dieser Gletscher rasant und wird bald nicht mehr zu bewundern sein. Vollkommen überwältigt und glücklich den Weg nochmal auf uns genommen zu haben erreichten wir in der Dämmerung unseren Bus wieder.
5 Matheson See bei Fox Gletscher
Dieser See liegt geografisch an einer perfekten Position, um in der Spiegelung des Wassers das Bergpanorama der Alpen zu bewundern. Deswegen existiert mittlerweile ein Rundwanderweg mit unterschiedlichen Spots, von wo aus man dieses Spektakel bewundern kann. Begeisterte Fotografen wie wir sind, konnten wir uns das nicht entgehen lassen. Leider hatten wir zwei Probleme, die wir erst während der Wanderung bemerkten. Die Wasseroberfläche, die aufgrund von leichtem Wind nur eine verschwommene Reflektion hervor brachte und eine dicke Wolkenschicht, die uns wieder einmal die Sicht auf die Bergspitzen verdeckte. Obwohl die Wanderung schön war, waren wir etwas enttäuscht. Wir schliefen in der Gegend entlang der Straße im Auto und merkten am Abend schon wie der Himmel aufklarte und die Sterne leuchteten. So vereinbarten wir früh morgens um vier Uhr aufzustehen um noch ein zweites Mal den See zu besuchen. Es war noch völlig dunkel als wir losgingen, aber mit jedem Lichtstrahl erkannten wir, dass das Glück diesmal auf unserer Seite war. So saßen wir am Steg und sahen den Alpen zu wie sie langsam zum Leben erwachen. Ein traumhaftes und schnell wandelte Farbspiel war am Horizont zu beobachten und das Fotografieren rückte schnell in den Hintergrund. Wie so oft dachten wir über den erlebten Moment nach und wie wir ihn oft während unserer Reise gewählt haben.
Manchmal kann man den Zufall oder das Wetter nicht beeinflussen, jedoch beginnt man den in unseren Köpfen generierten „nicht perfekten“ Moment einfach so hinzunehmen. Erst dann wird es möglich den Ort oder eine Situation mit einer spannenden Wende zu erleben. Und so lässt sich nur mehr sagen:
„LEBE DEN MOMENT, DASS LEBEN IST ZU KURZ UM IHN NICHT SO ZU NEHMEN WIE ER KOMMT!“
NELSON – WESTCOAST
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Geniale Fotos und eindrucksvoll beschriebene Erlebnisse!!!